Jun 21, 2024

Schadenersatz nach einem Shitstorm

Der Kläger ist Polizist. Er stand im Februar 2021 bei einer Demonstration gegen Covid-19-Maßnahmen im Einsatz und wurde dabei fotografiert. Ein Dritter veröffentlichte das Video in einem sozialen Medium (Facebook) mit folgendem Text: "Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in [...]. Ein 82 jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig." Der Beklagte ist Medieninhaber eines Facebook-Profils, dessen veröffentlichte Beiträge weltweit aufrufbar sind. Er erkannte auf dem Bild den Kläger als Polizisten und las auch den Text des ursprünglichen Postings, den er nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfte. Um seinem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, teilte der  Beklagte auf seinem Facebook-Profil einen Screenshot dieses Postings. Er verbreitete und veröffentlichte damit ein Bild, das den Kläger (in Uniform) bei einem Einsatz zeigt und auf dem dieser trotz Atemschutzmaske gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 erkennbar ist (samt Begleittext), und nahm dabei in Kauf, ein Bild des Klägers ohne Prüfung auf den Wahrheitsgehalt in Umlauf zu bringen. 

Zu beachten ist, dass ein einzelner einen Shitstorm allenfalls „lostreten“, ihn mitverursachen oder daran teilnehmen kann – alleine bewirken kann er ihn nicht. Die Schlagkraft einer solchen Vorgehensweise liegt gerade erst in der öffentlichen Schmähung durch viele Personen, die vom Opfer als ungerechte Verurteilung durch die „Allgemeinheit“ erlebt wird. Für den OGH (6Ob210/23k) war wesentlich, dass die abträgliche Äußerung nicht für sich allein stand. Mit dem Teilen von Bild und Text wurde nicht nur die üble Nachrede verbreitet, sondern auch der Aufruf zur Weiterverbreitung („Lasst … um die Welt gehen“). Wer sich an einem solchen Shitstorm beteiligt, muss damit rechnen, dass nicht nur das eigene (an „Freunde“) verbreitete Posting dazu führt, dass ein Leser des Beitrags den Kläger als Bekannten identifiziert oder auch nur aufgrund des Bildes wiedererkennt und mit negativen Reaktionen auf ihn zutritt. Er muss auch damit kalkulieren, dass sich diese Wirkung insbesondere durch den Aufruf zur Weiterverbreitung (und dessen Befolgung) vervielfacht und verdichtet, führen doch Repostings zumindest zu einer höheren Aufmerksamkeit. Setzen alle (wohl im Regelfall zumindest fahrlässig und damit schuldhaft handelnden) Poster des Shitstorm ein – konkret gefährliches – Fehlverhalten, das bis auf den strikten Nachweis der Ursächlichkeit (des gesamten aufgetretenen Schadens) alle haftungsbegründenden Elemente enthielt, ist das Unaufklärbarkeitsrisiko von ihnen und nicht vom Geschädigten zu tragen.

Das bedeutet, dass jeder Poster für den ganzen Schaden des vom Shitstorm Betroffenen haftet. Für Schadenersatz bei Verletzung des Bildnisschutzes fordert die Rechtsprechung eine erlittene Kränkung. Für Schadenersatz nach der DSGVO besteht dagegen keine „Bagatellgrenze“ oder Erheblichkeitsschwelle. Insoweit ist auch für niederschwelligere, aus der Rechtsverletzung resultierende Gefühlsbeeinträchtigungen wie Ängste, Stress oder Leidenszustände aufgrund einer erfolgten oder auch nur drohenden Bloßstellung, Diskriminierung oder Ähnlichem Ersatz zu leisten.